Ein Piktogramm von zwei Computern, die mit einem Globus verbunden sind. Aus diesem kommen Antennen.
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Wie künstliche Intelligenz das Gemeinwohl mehren kann

Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde und auch die Wohlfahrtspflege beschäftigt sich mehr und mehr mit Einsatzmöglichkeiten von KI. Dabei ist sie sicher kein Allheilmittel, kann aber unter den richtigen ethischen Rahmenbedingungen einen Beitrag dazu leisten, erfolgreicher soziale Herausforderungen zu adressieren.

Künstliche Intelligenz – was ist das eigentlich?

Kurz gesagt bezeichnet Künstliche Intelligenz Software, die automatisiert Entscheidungen trifft. Der Begriff ist grundsätzlich sehr weit gefasst und meint aktuell zumeist statistische Verfahren, die aus Trainingsdaten Muster extrahieren, um dann später neue Daten entsprechend der „gelernten“ Muster einzuordnen. Dabei gibt es Verfahren (Algorithmen), die einmalig trainiert werden, aber es gibt auch Algorithmen, die sich selbst kontinuierlich weiter optimieren, wenn neue Daten eintreffen. Letzteres gilt zum Beispiel für einen Algorithmus, der einer einzelnen Nutzerin für sie immer besser passende Artikelvorschläge auf einer Online-Nachrichtenseite vorschlägt, je öfter man diese Plattform verwendet und durch Anklicken von Artikeln diese für den Algorithmus als „interessant“ markiert.

Daten für die Nutzung Künstlicher Intelligenz lassen sich aber nicht nur aus klassischen Textdaten extrahieren, sondern aus den unterschiedlichsten Datenquellen. Grundlage können zum Beispiel Bilder oder Töne sein, Sprachaufzeichnungen, Sensordaten und vieles mehr. Damit bietet KI Anwendungsfälle in den unterschiedlichsten Bereichen.

Was für Anwendungsfälle gibt es in der Wohlfahrtspflege und darüber hinaus?

Es gibt bereits viele gute Beispiele, wie KI das Gemeinwohl mehren kann, wie das Diskussionspapier des McKinsey Global Institutes unter anderem anhand des Beispiels der Organisation Thorn aufzeigt. Thorn setzt sich international gegen Kinderhandel ein. Dieser findet zunemend im Internet und Dark Web statt. Gemeinsam mit verschiedenen amerikanischen Tech-Firmen hat Thorn daher das Programm ‚Spotlight‘ entwickelt. Mit einer Kombination aus Gesichts- und Texterkennung und Analyse sozialer Netzwerke identifiziert die Software mögliche Kinderhandel-Netzwerke und Opfer von Kinderhandel im Internet und im Dark Web. Diese Informationen stellt Spotlight den Behörden zur Verfügung, um schneller und effektiver gegen Kinderhandel vorgehen zu können.

Für solche Technologien gibt es noch viele weitere Anwendungsfälle jenseits organisierter Kriminalität. Denkbar wäre es beispielsweise ähnliche Technologien auf den DRK-Suchdienst zu übertragen und damit weltweit die Vermisstensuche nach Konflikten und Katastrophen zu unterstützen und damit voraussichtlich erheblich effizienter zu machen.

Länger selbstständig in den eigenen vier Wänden durch KI

Ein weiterer Anwendungsbereich ist das Wohnen im Alter. Viele Menschen wünschen sich, möglichst lange selbstständig in den eigenen vier Wänden zu leben. Der Einsatz Künstlicher Intelligenz kann dazu beitragen, länger allein zu leben, da im Notfall automatisiert schnelle Hilfe kommt. Hierfür werden in der Wohnung Sensoren eingebaut. Diese messen kontinuierlich die Bewegung in den Räumen, Helligkeit, Temperatur und vieles mehr. Sie lernen mit der Zeit die normalen Muster der Bewohnerin oder des Bewohners kennen: Wann steht sie in der Regel auf? Wie lange benötigt sie morgens im Bad und welche Bewegungen macht sie dabei? Wie viel bewegt sie sich? Weicht die Aktivität ohne erkennbaren Grund von den bekannten Mustern ab, kann je nach Situation direkt ein Notarzt alarmiert werden oder zunächst eine Leitstelle, die bei der Bewohnerin anruft und sich erkundigt, ob alles in Ordnung ist. So kann sie sich länger sicher zuhause fühlen. An unterschiedlichsten Orten Deutschlands wird bereits zum sogenannten Ambient Assisted Living geforscht. Unter anderem beim DFKI in Bremen und bei uns im DRK, beispielsweise im Projekt Dein Haus 4.0 - eine Kooperation des KV Cham mit der Hochschule Deggendorf.

KI hilft bei der Triage in der Notfallberatung

Die New Yorker gemeinnützige Organisation Crisis Text Line bietet depressiven und suizidgefährdeten Teenagern anonym 24/7 Hilfe per online-Chat. In den USA ist Suizid die dritthäufigste Todesursache Jugendlicher zwischen 10 und 20 Jahren. Und fast alle in dieser Altersgruppe verwenden Online-Messaging Programme, um zu kommunizieren. Crisis Textline erhält daher extrem viele Anfragen, bei denen in kürzester Zeit entschieden werden muss, welche zuerst von den Mitarbeitenden bearbeitet werden. In einem Artikel des Stanford Social Innovation Reviews wird berichtet, dass Crisis Text Line daher mit KI 65 Millionen Textnachrichten auswertete, um herauszufinden, welche Begriffe statistisch am stärksten mit einem hohen Selbstmordrisiko assoziiert sind. Anhand dieser Daten werden nun eingehende Nachrichten von sogenannten „high risk texters“ priorisiert behandelt und im Schnitt in weniger als 5 Minuten beantwortet.

Worauf müssen wir beim Einsatz Künstlicher Intelligenz achten?

Es wird deutlich: Künstliche Intelligenz bietet extrem viele Anwendungsfälle, die auch für die Wohlfahrtspflege große Mehrwerte für die Zielgruppen schaffen können. Wichtig beim Einsatz ist jedoch stets kritisch zu reflektieren: Liefert der Einsatz der Technologien einen tatsächlichen Mehrwert? Wahren wir jederzeit die Würde und Privatsphäre der Menschen? Können wir sicherstellen, dass keine diskriminierende oder problematische algorithmische Entscheidungsfindung stattfindet? Wie können wir größtmögliche Transparenz herstellen? Diese und viele weitere Fragen müssen bei der Konzeption technischer Lösungen mitgedacht werden. Denn gerade in der Wohlfahrtspflege haben wir eine besondere Verantwortung gegenüber den Menschen, die unsere Leistungen und Angebote nutzen.