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Von der Corona-Krise zur Überschuldungskrise: Langfristige Lösungen sind notwendig!

Verfügbare Impfstoffe, breit angelegte Impfkampagne. Der baldige Ausweg aus der nunmehr seit über einem Jahr andauernden Covid-19-Pandemie scheint in Reichweite. Die Auswirkungen eines Jahres im Ausnahmezustand aber werden deutliche Spuren hinterlassen.

Die finanziellen Auswirkungen der ersten Corona-Welle auf Privathaushalte verdeutlicht eine jüngst von der Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlichte Studie[1]. Die Stimmen für eine Aufwertung und Stärkung der gemeinnützigen Schuldnerberatung werden in diesem Zuge zwangsläufig lauter – ein einfaches ‚Weiter so’ kann es angesichts der Krisenentwicklungen nicht mehr geben.

Die Folgen der Krise werfen ihren Schatten voraus

Durch den pandemiebedingten Wegfall von Arbeitsplätzen, die flächendeckende Anordnung von Kurzarbeit und die massiven Einschränkungen etwa im Bereich von Selbstständigen und Kulturschaffenden zeigt sich, dass „die Covid-19-Pandemie erheblich zur Erhöhung der privaten Überschuldung und zu einer Verschärfung der sozialen Ungleichheit in Deutschland wird“[2].

Bereits vor der Covid-19-Pandemie verzeichnete Deutschland 6,92 Millionen überschuldete Erwachsene.[3]  Erfahrungen aus der ersten Welle der Pandemie legen nahe, dass zwar insbesondere jene Personen, die bereits vor der Krise sozial benachteiligt waren, von den finanziellen Auswirkungen betroffen sein werden. Darüber hinaus werden jedoch zunehmend auch neue Personengruppen von akuten Überschuldungsrisiken eingeholt.

Trotz vielfältiger ergriffener politischer Maßnahmen zur Abfederung der Krisenauswirkungen zeigt sich nun, dass diese Lösungen sowohl mit Blick auf ihren Umfang als auch ihre Zielgenauigkeit nicht ausreichend waren. Des weiteren standen auch wichtige Hilfsangebote wie etwa der Zugang zu gemeinnützigen Schuldnerberatungsstellen nicht für alle (neuen) Risikogruppen zur Verfügung.

Risiken zwischen Heute und Morgen

In der vorliegenden Studie kommen die Autorinnen und Autoren auf Grundlage einer für Deutschland repräsentativen Umfrage zu alarmierenden Ergebnissen. So gaben infolge der ersten Welle der Pandemie 6,7 % der Befragten an, dass sich ihre finanzielle Situation sehr und in 22,8 % der Fälle etwas verschlechtert habe. 24 % der Befragten gaben an, dass sie zur Deckung laufender Kosten zur Inanspruchnahme ihre finanziellen Ersparnisse gezwungen waren, mehr als 50 % der Befragten war dies aufgrund fehlender Ersparnisse nicht einmal möglich. Angesichts der Pandemieentwicklungen gaben 28,7 % der Befragten gaben mit Blick auf die Zukunft an, (sehr) starke Sorgen vor zukünftigen Zahlungsrückständen zu haben.

Diese Zahlen illustrieren die finanziellen Belastungen der Covid-19-Pandemie eindrücklich und lassen zumindest erkennen, welche finanziellen Belastungen den Betroffenen infolge der weiteren Entwicklungen noch bevorstehen (könnten).

Denn Überschuldung stellt für Betroffene nicht nur ein finanzielles Problem dar, sondern manifestiert sich zusätzlich häufig auch in weiterführenden (psycho-)sozialen Symptomen, die häufig weitreichende Auswirkungen für die Betroffenen als auch ihr Umfeld annehmen können (u.a. Suchterkrankungen, Wohnungsverlust)[4]. Dass aufgrund der Wucht der Covid-19-Pandemie eine solche Entwicklung nicht vorauszusehen war und ausreichende Vorkehrungen nur schwerlich zu treffen waren, ist nachvollziehbar. Angesichts der jetzt sichtbar werdenden Auswirkungen zeigt sich jedoch umso deutlicher, wie dringend notwendig die Entwicklung und Umsetzung passender Lösungsansätze ist.

Plötzlich ist nichts mehr, wie es war: Schuldnerberatungsstellen in der Krise

Das Angebot der in Deutschland verfügbaren Schuldnerberatungsstellen erreichte bereits vor der Covid-19-Pandemie nur ca. 10 - 15 % der von Überschuldung betroffenen Personen[5]. Maßgeblich eingeschränkt wurde die Arbeitsfähigkeit von Beratungsstellen und die Zugänglichkeit zu Beratungsleistungen Ratsuchende infolge der zur Pandemiebekämpfung erlassenen Infektionsschutzmaßnahmen. Für die Ratsuchende bedeutete dies, dass vereinbarte Beratungstermine nicht mehr wahrgenommen werden konnten. Aufgrund notwendiger Prozessumstellungen in den Beratungsstellen war der weitere Beratungsverlauf in vielen Fällen unsicher und musste aufwändig (neu) koordiniert werden. Häufig wurden adhoc Videoberatungen umgesetzt, bestehende Telefonberatungen ausgebaut und Dokumentenübermittlung auf dem Postweg genutzt.

Der Verlust des bekannten persönlichen Zugangs zur Beratungsleistung hat bei vielen Ratsuchenden jedoch trotz angestrebter Lösungen häufig zu maßgeblicher Verunsicherung geführt und das Vertrauen zu den Beratungsstellen auf die Probe gestellt. Die Nutzung digitaler Beratungsmöglichkeiten war zudem sowohl für viele Ratsuchende als auch nicht für alle Beratungsstelle gleichermaßen möglich, sodass ein einfacher Wechsel von analoge auf digitale Beratungsangebote nur vereinzelt möglich war.

Zusätzlich wurden Schuldnerberatungsstellen auch mit Blick auf ihre weitere Finanzierung herausgefordert. Die oftmals geltende Fallabrechnung erwies sich angesichts der ergriffenen Infektionsschutzmaßnahmen und den damit verbundenen Rückgang an Klientengesprächen als wenig resilient und erforderte flexible Nachverhandlungen mit Kostenträgern oder teilweise die Inanspruchnahme von finanziellen Schutzschirmen.

Herausforderungen für die Schuldnerberatungsstellen in Deutschland

Die Entwicklungen der Covid-19-Pandemie haben die Schwachstellen der Infrastruktur an Schuldnerberatungsstellen in Deutschland spürbar offengelegt.

1. Finanzierung

Die uneinheitlich geregelte Finanzierung von Schuldnerberatung steht der dringend benötigten Aufwertung der Schuldnerberatung und dem Ausbau von Beratungsstrukturen im Wege. Mögliche Wege könnte der vollständige Wechsel auf ausreichende Pauschalfinanzierungen darstellen. Darüber hinaus benötigt es aber auch politische Entscheidungen, welchen Stellenwert Schuldnerberatung in der Armutsbekämpfung und -prävention einnehmen soll und wie sowohl bestehende Bedarfe als auch künftige Bedarfe vorausschauend gedeckt werden können.

Ursächlich hierfür sind bundesweit uneinheitliche Finanzierungsstrukturen der gemeinnützigen Schuldnerberatungsstellen, die sich je nach Bestimmungen der Länder oder der Kommunen in (partiellen) Pauschalfinanzierungen und/oder fallbezogenen Abrechnungsmodellen zeigen.

2. Digitalisierung

Eng verbunden mit der Frage der ausreichenden Finanzierung ist die Frage der Digitalisierung von Digitalisierungsleistungen. Die konkreten Bedarfe sind im Zuge der Pandemie offen zu Tage getreten, können von den gemeinnützigen Schuldnerberatungsstellen jedoch nur in Ausnahmefällen selbst getragen werden. Um Beratungsstellen fit für die Zukunft zu machen und die Erreichbarkeit für Ratsuchende zu erhöhen müssen Investitionen in die digitale Infrastruktur vorgenommen werden.

3. Beratungsbedarfe

Die Krise zeigt in aller Deutlichkeit, dass nicht nur bereits Sozialleistungsbeziehende Zugang zu den Angeboten der Schuldnerberatung benötigen. Vielen vor der Überschuldung stehenden Personen könnte durch die frühzeitige Inanspruchnahme von gemeinnütziger Schuldnerberatung die Hilfe zugute kommen, die sie vor dem Abrutschen in prekäre Lebenssituationen schützt. Die Covid-19-Pandemie verdeutlicht, wie schnell der Kreis der potentiell Ratsuchenden sich ausweiten kann und wie wenig gewappnet die verfügbaren Strukturen hierfür sind.

Die Einführung eines individuellen Anspruchs auf Schuldnerberatung würde diesem Problem wirksam entgegenwirken können und frühzeitig notwendige Sicherheit und Perspektive schaffen.

Hinweis:

Die Arbeitsgemeinschaft der Schuldnerberatung der Verbände e.V. (AG SBV) veranstaltet auch in diesem Jahr ihre jährliche Aktionswoche Schuldnerberatung – diesmal unter dem Motto „Der Mensch hinter den Schulden“ (7. – 13. Juni 2021). Mit diesem Motto möchten die vertretenen Verbände auf die angesprochene Thematik der Überschuldungsvielfalt und ihrer individuellen Lebenslagen hinweisen, die sich im Zuge der Covid-19-Pandemie entwickelt hat.

Links & weiteführende Informationen

Bei (drohender) Überschuldung finden Sie auf den Seiten des DRKBeratungsstellen in Ihrer Nähe.

Wichtige Antworten auf Fragen zum Thema Überschuldung und zur Arbeit von gemeinnützigen sozialen Schuldnerberatungen finden Sie  auf dem Informationsportal www.meine-schulden.de der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung e.V.

[1] Friedrich-Ebert-Stiftung e.V.: WISO Diskurs (07/2021). Studie von Korczak, D., Peters, S., Roggemann, H.: Private Überschuldung in Deutschland. Auswirkungen der Corona-Pandemie und die Zukunft der Schuldnerberatung (abrufbar unter: http://www.fes.de/cgi-bin/gbv.cgi?id=17552&ty=pdf)

[2] FES 2021, S. 3

[3] Creditreform Wirtschaftsforschung 2019: SchuldnerAtlas Deutschland: Überschuldung von Verbrauchern, Neuss, https://www.creditreform.de/fileadmin/ user_upload/central_files/News/News_Wirtschaftsforschung/2019/Schuldneratlas_ Herbst_2019/Analyse_SchuldnerAtlas_2019.pdf (4.2.2021).

[4] vgl. FES 2021, S. 10

[5] vgl. FES 2021, S. 29