Arthur Lambillotte / Unsplash

Energiekrise: Auswirkungen auf das DRK und die Wohlfahrtspflege

Dr. Joß Steinke spricht im Interview über die andauernde Energiekrise - und wie sie die Wohlfahrtspflege betrifft, sowohl praktisch wie auch politisch. 

Krisen sind die neue Norm, das wurde uns im Wohlfahrtskongress 2022 klar vor Augen geführt. Ob Ukraine, Klima- oder Energiekrise – die Themen sind nicht nur stark miteinander verknpüft, sondern auch untrennbar mit Fragen nach sozialem Miteinander und der Rolle der Wohlfahrtspflege verbunden. 

Herr Steinke, was beutet die andauernde Energiekrise für die Wohlfahrtspflege? 

Heute, im Februar 2023, bin ich nicht ganz sicher, wie gravierend die Auswirkungen sind. Milder als gedacht jedenfalls. Im letzten Herbst standen jedoch Szenarien zur Versorgungslage und den Energiekosten im Raum, die uns sehr alarmiert haben. Die sich abzeichnenden Preissteigerungen hätten einige Einrichtungen nicht bewältigen können. Und in Pflegeeinrichtungen kann man auch nicht mal eben schnell die Heizung runterdrehen. Niemand wusste, was dann eigentlich passiert. Was ist mit z. B. mit Pflegebedürftigen, wenn Einrichtungen schließen oder ihre Plätze reduzieren müssen?  

So ist es nicht gekommen. Jedenfalls noch nicht. Und das lag an vielen Entwicklungen, sicher und auch am Engagement der Wohlfahrtsverbände, unter anderem durch die Präsenz der Caritas-Präsidentin Eva Welskop-Deffaa in der Gas- und Wärmekommission der Bundesregierung.

    Wirkt sich die Energiekrise auf soziale Ungleichheit aus?

    Diese Frage lässt sich noch nicht abschließend bewerten. Aus unserem Verband wissen wir, dass immer mehr Menschen auf soziale Hilfen angewiesen sind. In den Tafeln, Kleiderkammern und in der Wohnungslosenhilfe tauchen immer mehr Menschen auf, die eigentlich der gesellschaftlichen Mitte zuzurechnen sind. Das ist alarmierend und hat sicher auch mit den enormen Kostensteigerungen in allen Bereichen zu tun.  

    Während die Preisbremsen der Bundesregierung ein gesetztes Ende haben, werden die Preise für Energie, Wohnen und Lebensmittel kaum wieder sinken. Möglicherweise sind beispielsweise die Energiekonzerne, die jetzt vertraglich hohe Kosten aufrufen, Gewinner der Gesamtentwicklung. Um Familien und Menschen mit geringen Einkommen und benachteiligte Menschen sollten wir uns Sorgen machen. 

      Wie hat die Regierung darauf reagiert? 

      Die Bundesregierung hat ein beispielloses Maßnahmenpaket aufgelegt: Mit dem berühmten Doppelwumms wurden die Kosten für Strom und Wärme gedämpft und letztlich auch die Märkte beruhigt. Alle haben profitiert. Viele Empfängerinnen und Empfängern haben Einmalleistungen und Aufschläge erhalten. Und parallel hat die Bundesregierung das Hart-IV-System reformiert und mit dem Bürgergeld die Grundsicherung erhöht. Nicht alles war vollständig austariert und einige Maßnahmen scheinen an unserer Bürokratie zu scheitern (Studierende warten noch immer auf ihre Einmalzahlung). Aber wenn man die Maßnahmen im Ganzen betrachtet, zu denen beispielsweise auch das 9-Euro-Ticket gehörte und dazu den hohen Zeitdruck berücksichtigt, dann ist das schon beachtlich. Untätigkeit kann man der Bundesregierung gewiss nicht vorwerfen.

        Welche Rolle spielt die DRK-Wohlfahrt?  

        Wir haben uns vor allem um die Leistungen der Freien Wohlfahrtspflege gesorgt. Und haben diese Sorgen sehr früh thematisiert. Mitte September erschien unser Brennpunkt, den wir auf der Basis gemeinsamer Überlegungen mit dem Anwalt Professor Bernd Schlüter verfasst haben.  

        Der Titel fasst unsere Positionierung gut zusammen:„Soziale Infrastruktur vor dem Energiekollaps retten: DRK schlägt Sicherungsfonds zum Ausgleich der Betriebskostensteigerungen vor“. Elemente dieses Papiers sind eingeflossen in die politischen Überlegungen und einige Formulierungen aus unserem Brennpunkt finden sich eins zu eins im Abschlussbericht der Regierungskommission.  

        Wie schon in der Corona-Krise: Erfolgreich waren wir, weil alle Spitzenverbände ihre Stärken eingebracht haben. Allerdings ist es ja nicht vorbei: Wir streiten weiter, der Härtefallfonds für Einrichtungen der Behindertenhilfe greift beispielsweise zu kurz, weil er nur für das Jahr 2022 gilt. Und wir wissen auch, die Kosten steigen weiter, während die öffentlichen Mittel tendenziell knapper werden. Da haben wir sicher noch einige Aufgaben vor uns.

          Was braucht die Wohlfahrtspflege, um nachhaltige Lösungen für immer neue Krisen zu finden? 

          Die Wohlfahrtspflege ist immer da, wenn Krisen zu bewältigen sind. Ich arbeite seit zehn Jahren in Spitzenverbänden, seit sieben im DRK. Ich habe die Zuwanderung 2015 erlebt, Corona und jetzt den Krieg in der Ukraine bzw. seine Auswirkungen in Deutschland. Und am Ende braucht man immer vor allem die gemeinnützigen Einrichtungen der Wohlfahrtspflege mit ihren engagierten Menschen, seien es Unterkünfte und soziale Betreuung für Geflüchtete, Einrichtungen der Behindertenhilfe für Menschen mit Behinderung aus der Ukraine oder Schuldnerberatungsstellen, die Menschen wieder finanziell auf die Beine helfen.  

           

          "Eigentlich ist es offensichtlich: Wer Krisenfestigkeit will, muss die Wohlfahrtspflege nachhaltig stärken." 

          Dazu fällt mir viel ein. Aber es beginnt mit einem echten politischen Bekenntnis und der Verankerung einer Vorrangstellung für gemeinnützige Angebote in den Sozialgesetzbüchern. Gemeinnützige Dienste und Einrichtungen haben zudem oft nicht genügend Rücklagen, um jetzt in die Zukunftsthemen zu investieren: Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Resilienz. Hier sind öffentliche Programme zwingend notwendig. Das ist mir alles zu wenig gerade.

            Was braucht die Wohlfahrt konkret in der Energiekrise? 

            Diesen Winter scheinen wir ganz gut zu schaffen. Aber wir müssen die Entwicklung weiter beobachten und ggf. nachlegen. Ich glaube, dass die Preisentwicklungen insgesamt noch mal zum Thema werden. Als Nächstes steigen absehbar die Personalkosten, was ja eigentlich gut ist. Möglich, dass wir bald sehr grundsätzlich über die Refinanzierung der Leistungen reden. Das ist ja auch eine Chance.

              Ihr Fazit?

              Die Energiekrise ist nicht so gravierend, wie im Herbst 2022 noch befürchtet. Das DRK hat mit seinen Konzepten dazu beigetragen, dass die Dienste und Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege in den Paketen der Bundesregierung mitgedacht wurden und ist an der Umsetzung weiter dran. Der Wert der Wohlfahrtspflege ist in jeder Krise immens. Dennoch zeichnen sich einige Herausforderungen ab, die uns in den nächsten Jahren noch intensiv beschäftigen werden. 


              Dr. Joß Steinke
              Henning Schacht/DRK

              Dr. Joß Steinke hat die Bereichsleitung Jugend und Wohlfahrtspflege im DRK-Generalsekretariat im Februar 2016 übernommen. Er ist unter anderem für die programmatische und organisatorische Ausrichtung des Wohlfahrtsbereichs zuständig und wirkt an der verbandsinternen Strategieentwicklung mit.